Erste-Hilfe-Kit Demokratie für Verwaltungsmitarbeitende (Version 1)
ein gemeinsames Projekt von
Politics For Tomorrow, Re:Form und Verwaltung für Demokratie e.V.
Das Erste-Hilfe-Kit dient als Orientierungshilfe für Verwaltungsmitarbeitende, die sich in ihrer Arbeit mit Weisungen, einem Arbeitsumfeld oder Entwicklungen konfrontiert sehen, die geltendes Recht oder demokratische Grundprinzipien infrage stellen. Diese Situationen können verunsichern und stressig sein. Möglicherweise ein Gefühl von Druck, Isolation und auch Sorgen um die eigene Karriere und damit Existenzgrundlage auslösen. All das ist nachvollziehbar. Du bist im Zweifel nicht die*der Einzige, der*dem es so geht. Deshalb ist unser Rat und Credo des Vereins: Bleibt nicht allein, schafft Vertrauensräume mit anderen und ermutigt Euch gegenseitig.
Im Folgenden werden Handlungsspielräume aufgezeigt, rechtliche Grundlagen dargestellt und Netzwerke vorgestellt, die Unterstützung bieten.
Ziel ist es, nicht nur das Bewusstsein für die eigenen Rechte und Pflichten zu stärken, sondern auch konkrete Hilfestellungen für den Umgang mit herausfordernden Situationen zu geben. So wollen wir die freiheitlich demokratische Grundordnung unserer Gesellschaft langfristig stärken.
Das Erste-Hilfe-Kit ist ein Werkzeugkoffer und beinhaltet zum einen Grundprinzipien der Arbeit im öffentlichen Dienst und Hinweise auf die Rechtslage. Zum anderen finden sich im Anhang verschiedene Checklisten zu den einzelnen Themen mit Praxistipps, Rechtsprechung, weiterführenden Internetressourcen und konkreten Beispielen, um direkt ins Handeln zu kommen.
Vielen Dank an den Gegenrechtsschutz, FragDenStaat, die Gesellschaft für Freiheitsrechte und den Verfassungsblog für eure Unterstützung bei der Erarbeitung des Erste-Hilfe-Kits!
Die Inhalte des Erste-Hilfe-Kits basieren auch auf aktueller Rechtsprechung und komplexen Sachverhalten. Gesetze und Auslegung können sich ändern und fortentwickeln, neue Problemstellungen und Veränderungen im Arbeitsalltag können hinzu kommen. Wir werden versuchen, auf solche Entwicklungen einzugehen und das Kit jeweils zeitnah zu aktualisieren. Gerne nehmen wir von euch Hinweise und Feedback auf (info@verwaltung-fuer-demokratie.de), wo aus eurer Sicht Änderungsbedarf besteht oder es etwas Neues gibt, was wir ins Kit aufnehmen können. Die aktuelle Version ist Version 1.
Gerne darf das Erste-Hilfe-Kit unter der Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0 [Verwaltung für Demokratie e.V.] verwendet und vervielfältigt werden.
Grundprinzipien
Verfassungstreue
Verfassungstreue
Der Schutz der demokratischen Grundordnung ist das oberste Prinzip und verpflichtet alle Mitarbeitenden der öffentlichen Verwaltung. Verfassungstreue hat Vorrang vor dem Neutralitätsgebot.
Neutralitätsgebot
Neutralitätsgebot
Das parteipolitische Neutralitätsgebot soll eine gerechte Amtsführung sicherstellen – unabhängig von politischen Einflüssen. Es bedeutet nicht, dass man sich nicht gegen Rechtsextremismus und andere verfassungsfeindliche Tendenzen offen stellen und sprechen darf!
Grundrechte und Dienstpflichten
Grundrechte und Dienstpflichten
Für die Amtsausübung, den innerdienstlichen Bereich und den privaten Bereich gelten unterschiedliche Regeln. Eine klare Abgrenzung ist entscheidend, um Pflichten und Rechte aller Beschäftigten rechtssicher wahrzunehmen. Zwischen Grundrechten und Dienstverhältnis kann ein Spannungsverhältnis bestehen. Beamt*innen sind Grundrechtsträger*innen, aber können sich während der Amtsführung nicht uneingeschränkt auf diese berufen (z.B. Art. 5 GG Meinungsfreiheit und Mäßigungsgebot sowie parteipolitische Neutralität).
Parteipolitische Arbeit im Amt ist verboten
Parteipolitische Arbeit im Amt ist verboten
Beschäftigte im öffentlichen Dienst müssen ihre Entscheidungen am Sachlichkeitsgebot und Willkürverbot ausrichten. Sie erfüllen ihre Aufgaben unparteiisch, bekennen sich aber zu den Verfassungswerten und treten aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ein.
Mäßigungsgebot
Mäßgigungsgebot
Beamt*innen und Beschäftigte müssen sich bei politischen Äußerungen in Zurückhaltung üben, um das Vertrauen in eine unparteiische Verwaltung zu wahren. Das Gebot ergibt sich aus dem besonderen Treueverhältnis bei Beamt*innen, betrifft aber auch alle anderen Beschäftigten.
Remonstrationspflicht
Remonstrationspflicht
Beamt*innen sind verpflichtet, rechtliche Bedenken gegen Weisungen unverzüglich ihren Vorgesetzten mitzuteilen. Für Tarifbeschäftigte gelten arbeitsrechtliche Schutzmechanismen, die ähnliche Handlungsmöglichkeiten eröffnen.
Hinweisgeberschutz
Hinweisgeberschutz
Schutzmechanismen für Hinweisgeber*innen sind gesetzlich verankert. Meldungen von Gesetzesverstößen sind für alle Beschäftigten rechtlich abgesichert.
Checklisten
Checkliste Schnellstart
- Haltung klären: Deine Verantwortung zählt!
- Du bist verpflichtet zu rechtsstaatlichem, verfassungskonformen Verwaltungshandeln.
- Du hast Einblick, du siehst, was geschieht – das ist ein Privileg und eine Verantwortung zugleich.
- Sei mutig – für Menschenwürde, Rechtsstaat und Demokratieprinzip.
- Einstieg ins Thema
- Empfehlung: „Machtübernahme“ von Arne Semsrott (Buch oder kostenfreies Hörbuch auf Spotify) – insbesondere das Kapitel mit Tipps für Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie das “Thüringen-Projekt” des Verfassungsblogs https://verfassungsblog.de/thuringen-projekt/
- Richtig verhalten im Zweifel
- Dokumentiere, was du beobachtest.
- Keine Fehler machen:
- Keine Gespräche heimlich aufzeichnen
- Datenschutz beachten
- Verschwiegenheitspflichten einhalten
- Im Zweifel: Juristischen Rat einholen (Anwält*innen, Gewerkschaften, Vertrauenspersonen).
- Unterstützung suchen
- Nutze interne Ansprechstellen und Antikorruptionsbeauftragte.
- Aktiviere Deine Netzwerke – spreche mit Kolleg*innen.
- Nicht alleine bleiben! Zusammenstehen schützt.
- Wenn intern nichts geht:
- Nutze das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) – wende Dich an Meldestellen.
- Letzte Optionen:
- Krankschreibung, wenn die Belastung zu hoch wird
- Versetzungsantrag stellen
Checkliste Neutralitätspflicht
Die Neutralitätspflicht verpflichtet Beschäftigte im öffentlichen Dienst dazu, ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen.
Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) / § 33 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) dienen Beamt*innen dem ganzen Volk, nicht einer Partei.
💡 Kernbotschaft:
Politische Neutralität stärkt das Vertrauen in den Rechtsstaat und eine verlässliche Verwaltung. Sie gilt für Beamt*innen sowie (mit gewissen Abschwächungen) für Verwaltungsangestellte, welche dem Gemeinwohl verpflichtet sind.
✅ Erlaubt
Bei politischem Engagement außerhalb des Dienstes ist zu beachten:
- Klare Trennung zwischen privaten Äußerungen und solchen mit Amtsbezug
- Auch im Dienst darf und soll eine Haltung der Gleichbehandlung und Verfassungstreue sendungsbewusst nach außen getragen werden
Beispiele:
- Ein*e Verwaltungsbeamt*in bearbeitet Anträge unabhängig von der politischen Gesinnung der Antragstellenden.
- Ein*e Lehrer*in behandelt politische Themen im Unterricht sachlich fundiert und im Sinne der freiheitlich demokratischen Grundordnung ohne parteipolitische oder politische Beeinflussung (Überwältigungsverbot) und stellt kontroverse Themen als solche dar (Kontroversitätsgebot). Politische Enthaltsamkeit ist nicht gefordert. Auch Lehrer*innen dürfen eine politische Haltung haben und eine Meinung vertreten, sollten diese aber als eine solche kennzeichnen.
❌ Nicht erlaubt
- Parteipolitische Betätigung im Dienst.
- Nutzung dienstlicher Ressourcen für politische Zwecke
- Teilnahme an verfassungsfeindlichen Aktionen
- Den Eindruck erwecken, als Beamte*in offiziell für eine Partei zu sprechen
- Öffentliche parteipolitische Äußerungen, die das Vertrauen in die Neutralität des öffentlichen Dienstes beeinträchtigen könnten
- Amtsautorität für politische Zwecke nutzen
Beispiele:
- Ein*e Polizeibeamt*in hält während einer Demonstration in Uniform eine Rede für eine politische Partei. Dies könnte den Eindruck erwecken, dass sie*er in seiner dienstlichen Funktion für diese Partei eintritt und würde somit das Vertrauen in seine*ihre Neutralität untergraben.
- Ein*e Lehrer*in, die im Unterricht eine Wahlempfehlung für eine Partei gibt.
Checkliste Verfassungstreue
Die Pflicht zur Verfassungstreue verlangt von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhalt einzutreten. Diese Verpflichtung ist in § 60 Abs. 1 Satz 3 Bundesbeamtengesetz (BBG) / § 33 Beamtenstatusgesetz ( BeamtStG) verankert.
💡 Kernbotschaft:
Verfassungstreue bedeutet mehr als sich an Gesetze zu halten – Beamt*innen müssen aktiv für die Demokratie eintreten und verfassungsfeindliche Bestrebungen zurückweisen. Auch außerhalb des Dienstes.
ℹ️ Was ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO)?
Die FDGO enthält nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG):
- Menschenwürde (“die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit”)
- Demokratieprinzip (“Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk”)
- Rechtsstaatlichkeit (“Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte”)
✅ Muss (Es geht nicht um “Erlaubnis zu” sondern ein “Muss”!)
- Im Dienst FDGO-konforme Werte vertreten
- Verfassungsfeindliche Tendenzen erkennen und nicht unterstützen.
- Nicht schweigen, sondern auf der Sachebene Kritik üben, wenn demokratische Prinzipien angegriffen werden.
- Dienstliche Entscheidungen immer an den Grundwerten des GG ausrichten.
Beispiele:
- Ein*e Beamt*in äußert sich kritisch über extremistische Bewegungen, die die FDGO infrage stellen.
- Ein*e Verwaltungsbeamte*r verweigert eine Anweisung, die gegen demokratische Grundsätze verstößt (Remonstrationspflicht).
- Ein*e Polizist*in meldet intern, wenn Kolleg*innen extremistische Positionen vertreten.
❌ Nicht erlaubt
- Teilnahme an verfassungsfeindlichen Aktionen.
- Politische Strukturen fördern, die die FDGO abschaffen wollen.
- Verfassungswidrige Forderungen unterstützen oder verharmlosen.
Beispiele:
- Ein*e Beamter*in engagiert sich aktiv in einer Organisation, die vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich, z.B. als gesichert rechtsextrem, eingestuft und verboten wurde.
- Ein*e Lehrer*in verbreitet Verschwörungstheorien, die demokratische Strukturen delegitimieren.
- Ein*e Verwaltungsmitarbeiter*in macht Wahlkampf für eine Partei, die gegen die FDGO agitiert.
Checkliste Spannungsfeld Verfassungstreue und Neutralitätspflicht
💡 Kernbotschaften:
- Verfassungstreue ist das Fundament des öffentlichen Dienstes.
- Beamt*innen sind keine neutralen „Zuschauer*innen“, sondern müssen aktiv für Demokratie und Rechtsstaat einstehen.
- Die Neutralitätspflicht dient der Gleichbehandlung aller Parteien durch Verwaltungsmitarbeitende, entbindet aber nicht von der Pflicht, sich gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen zu positionieren.
Neutralitätspflicht (siehe Checkliste Neutralitätspflicht)
- Beamt*innen
- dürfen keine parteipolitische Stellungnahme im Dienst abgeben.
- müssen ihre Entscheidungen am Sachlichkeitsgebot und Willkürverbot ausrichten und alle Bürger*innen nach dem Gleichheitsgrundsatz behandeln
- Gilt grundsätzlich gegenüber allen Parteien, solange sie nicht verboten sind.
‼️ ABER: Verfassungstreue geht vor!!! (vgl. Checkliste Verfassungstreue)
- Kritik an verfassungswidrigen Positionen ist erlaubt und notwendig.
- Nicht erlaubt ist es aber, als Verwaltungsmitarbeitende in offizieller Funktion eine Partei zu diffamieren.
- Trennlinie: Sachliche Kritik an verfassungswidrigen Positionen ≠ Willkür und politische Parteinahme.
ℹ️ Rechtsprechung:
Wir haben einige interessante Entscheidungen zur Veranschaulichung der Problematik zusammengetragen. Natürlich landen nur die wenigsten Fälle am Ende vor Gericht. Aus der Gesamtschau ergab sich auch, dass die Urteile sich zumeist mit Aussagen hochrangiger Amtsträger*innen bzw. politischer Beamt*innen (Regierungsmitglieder, Ministerpräsident*innen…) beschäftigten. Je höher die Autorität des Amtes, desto stärker ist aber auch die Bindung an die Neutralitätspflicht. An den folgenden Beispielen zeigt sich, dass auch Amtsträger*innen unter Beachtung bestimmter Grundsätze durchaus Haltung zeigen dürfen und sollen. Nach der neuerlichen Einstufung der AfD als “gesichert rechtsextrem” durch den Verfassungsschutz, werden sich die Gerichte wohl weiterhin mit dem Thema auseinandersetzen. Insbesondere das Urteil zugunsten von Malu Dreyer erkennt in den Verfassungsschutzberichten einen relevanten Maßstab für die Sachlichkeit einer Aussage, der bei der Bewertung amtlicher Äußerungen zu berücksichtigen ist. Hiergegen hat die AfD übrigens Verfassungsbeschwerde erhoben – diese Entscheidung wird richtungsweisend sein.
VerfGH RLP, Urteil vom 2. April 2025, VGH O 11/24: Der Aufruf zu “Demos gegen Rechts” auf dem Internetportal des Landes und AfD-kritische Äußerungen auf dem Instagram-Account der damaligen Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, waren zwar nicht neutral im Sinne des Neutralitätsgebot – jedoch gerechtfertigt, da sie weder unsachlich, noch willkürlich waren. Der VGH betont das Selbstverständnis des Landes als wehrhafte Demokratie und dass die Verfassung in diesem Sinne gerade nicht neutral gegenüber ihren Gegnern sei. Die Verfassungsorgane seien verpflichtet, für die Grundsätze und Werte der Verfassung einzutreten und vor allem auch dazu befugt, sich mit verfassungsfeindlichen Parteien zu befassen. Erst wenn die staatlichen Einschätzungen und Bewertungen willkürlich oder unsachlich würden, seien solche Äußerungen unzulässig. Die darin enthaltenen Wertungen ließen sich auf Reden von Mitgliedern der AfD im Bundestag und die Feststellungen in den Verfassungsschutzberichten des Landes Rheinland-Pfalz aus den Jahren 2022 und 2023 stützen. Außerdem habe Dreyer die amtlichen Aussagen “erkennbar zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung veröffentlicht”. Diffamierende oder diskriminierende Wertungen seien nicht enthalten.
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.10.2023 – 5 B 1085/23: Die Bundeszentrale für politische Bildung durfte im Wahl-O-Mat zur bayerischen Landtagswahl und auf ihrer Internetseite darauf hinweisen, dass die AfD vom bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wurde, denn darin ist keine eigene Wertung enthalten.
VG Ansbach, Beschl. v. 4.7.2024 – AN 4 E 24.1196, BeckRS 2024, 19007: Geltung des Gebots parteipolitischer Neutralität für kommunale Amtsträger: Bei politischen Äußerungen in sozialen Medien kommt es bei der Einordnung als (zulässige) private oder (unzulässige) amtliche Äußerung insbesondere darauf an, ob die sich äußernde Person selbst einen Bezug zu dem von ihr ausgeübten Amt herstellt. Im letzteren Fall ist sie an das Neutralitätsgebot gebunden.
OVG Münster Beschl. v. 14.11.2022 – 15 B 893/22: Soweit der*die Inhaber*in eines öffentlichen Amtes am politischen Meinungskampf zwischen den politischen Parteien teilnimmt, muss er*sie zur Wahrung der Chancengleichheit der Parteien jeden Rückgriff auf die mit dem Amt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterlassen. Nimmt der*die Amtsinhaber*in für sein*ihr Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch (hier z.B. durch Veröffentlichung eines Artikels auf der städtischen Internetseite), ist dieses Handeln im Verhältnis zu den politischen Parteien dem Neutralitätsgebot unterworfen.
BVerwG, Urt. v. 13.9.2017 – 10 C 6/16 (OVG Münster): Die Befugnis zu amtlichen Äußerungen, die sich gegen eine nicht zu den politischen Parteien (Art. 21 GG) zählende politische Gruppierung richten, findet ihre Grenze nicht in dem politischen Parteien gegenüber geltenden Neutralitätsgebot, wohl aber in dem für jedes staatliche Handeln geltenden Sachlichkeitsgebot. Dieses verlangt, dass sich die amtlichen Äußerungen am Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses ausrichten und auf eine lenkende Einflussnahme auf den Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verzichten. Vorliegend hatte der Oberbürgermeister auf der städtischen Internetseite anlässlich einer Dügida-Demonstration dazu aufgerufen, die Abendbeleuchtung auszuschalten und an Gegendemonstrationen teilzunehmen.
➡️ Schlussfolgerung
Kritik an bestimmten Forderungen oder Positionen muss sachlich und am Maßstab des Grundgesetzes formuliert werden, um sowohl der Verfassungstreue als auch der parteipolitischen Neutralitätspflicht gerecht zu werden.
Checkliste Remonstrationspflicht und ‑recht
Die Remonstrationspflicht verpflichtet Beamt*innen, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen unverzüglich bei ihren Vorgesetzten geltend zu machen. Diese Pflicht ist in § 36 Abs. 2 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) und § 63 Abs. 2 Bundesbeamtengesetz (BBG) geregelt.
💡 Kernbotschaft:
Die Remonstration schützt nicht nur die*den betroffene*n Beamt*in, sondern auch den Staat und die Bürger*innen vor rechtswidrigem Verwaltungshandeln. Für eine Remonstration genügt es, dass man einen Rechtsverstoß in einer Anweisung befürchtet.
Schutz der Rechtsstaatlichkeit:
- Beamt*innen sind nicht einfach „Befehlsempfänger*innen“.
- Die Remonstrationspflicht verhindert, dass rechtswidrige Anordnungen unreflektiert umgesetzt werden.
Verantwortung für das Verwaltungshandeln:
- Sie stellt sicher, dass Verwaltungsentscheidungen auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden.
- Sie ermöglicht eine Korrektur rechtswidriger Entscheidungen innerhalb der Behörde.
Schutz der Beamt*innen:
- Wer eine Remonstration durchführt, ist von der Verantwortung für eine mögliche rechtswidrige Handlung befreit.
- Das schützt vor Disziplinarmaßnahmen und persönlicher Haftung.
✅ Remonstration umgesetzt
Beispiele:
- Illegale Haushaltskürzungen
- Eine Finanzbeamtin soll eine Kürzung von Fördermitteln für soziale Projekte anordnen, obwohl sie weiß, dass dies entgegen der gesetzlichen Grundlage der Förderung erfolgt.
- Remonstration: Sie meldet ihre Bedenken ihrer Vorgesetzten.
- Prüfung: Die Behörde erkennt den Fehler und zieht die Anweisung zurück.
- Polizeieinsatz ohne Rechtsgrundlage
- Ein Polizeibeamter erhält den Befehl, eine Demonstration aufzulösen, obwohl keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht.
- Remonstration: Der Beamte meldet seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einsatzes.
- Ergebnis: Die Behörde prüft den Einsatz und zieht die Anweisung zurück.
❌ Remonstration unterlassen
Beispiele:
- Keine Remonstration – Disziplinarverfahren
- Ein Beamter vollzieht eine rechtswidrige Durchsuchung, ohne seine Bedenken zu äußern.
- Remonstration ist nicht erfolgt. Später wird festgestellt, dass er hätte remonstrieren müssen.
- Folge: Disziplinarverfahren wegen Verletzung der Dienstpflicht.
Checkliste Ablauf Remonstrationspflicht
Die Remonstration ist der erste Schritt, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Anweisung bestehen, das heißt: Juristische Spezialkenntnisse sind nicht nötig.
Die Remonstration erfolgt in drei Stufen:
- Stufe: Erhebung der Bedenken gegenüber der oder dem direkten Vorgesetzten
- Der*die Beamt*in äußert Bedenken gegen eine dienstliche Anordnung.
- Dies muss unverzüglich erfolgen und kann mündlich oder schriftlich geschehen.
- Der*die Vorgesetzte prüft die Anordnung erneut.
- Stufe: Weiterleitung an die*den nächsthöhere*n Vorgesetzte*n
- Falls der*die unmittelbare Vorgesetzte oder der unmittelbare Vorgesetzte bei der Anordnung bleibt, ist die nächsthöhere Instanz zu informieren.
- Diese prüft die Bedenken erneut.
- Stufe: Bestätigung oder Aufhebung der Anordnung
- Wird die Anordnung von der höheren Instanz bestätigt, muss sie ausgeführt werden – es sei denn, sie verstößt gegen straf- oder ordnungsrechtliche Vorschriften oder verletzt die Menschenwürde. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt auch dann vor, wenn durch die angewiesene Amtshandlung Personen aufgrund von Geschlecht, Abstammung, Rassismus, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiösen oder politischen Anschauungen oder Behinderung benachteiligt werden.
- Der*die Beamt*in ist dann von der eigenen Verantwortung befreit.
‼️ Ausnahme:
Verstößt eine Anordnung gegen die Menschenwürde, ist sie ordnungswidrig oder strafbar, darf sie nicht ausgeführt werden.
Aus diesem Grund ist bei der Formulierung zu beachten, dass man im Rahmen der Remonstration nur von “Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit” einer Maßnahme spricht und nicht von “Überzeugung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit”. Sollte man sich nach Bestätigung der Anordnung zu einer Befolgung der Maßnahme entscheiden und sich diese in einem von dem Betroffenen angestrengten Gerichtsverfahren als rechtswidrig erweisen, könnte andernfalls aus der Remonstration auf Vorsatz und Unrechtsbewusstsein des*der ausführenden Beamt*in geschlossen werden.
Beispiele
- Ein Beamter im Gesundheitsamt wird angewiesen, Quarantänebescheide ohne ausreichende rechtliche Grundlage zu erlassen. Er meldet dem Vorgesetzten, dass die Anordnung rechtswidrig sein könnte, da die Bescheide nicht auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen.
- Eine Beamtin im Sozialamt wird angewiesen, einen Antrag auf Wohngeld pauschal abzulehnen, obwohl die Antragsunterlagen vollständig sind. Sie remonstriert, weil die Ablehnung rechtlich nicht vertretbar ist.
ℹ️ Rechtsprechung (Beispiel):
Verstoß gegen Menschenwürde: Polizeiführer erteilt einem untergebenen Polizeibeamten die Weisung, einem dringend Tatverdächtigen zur Erzwingung einer Aussage mit der Beibringung körperlicher Schmerzen und somit Folter zu drohen (sog. „Daschner-Fall“, LG Frankfurt a. M. NJW 2005, 692).
Checkliste Rechtswege, um eigene Rechte zu wahren und rechtswidriges Verwaltungshandeln zu verhindern
- Remonstration (§ 63 Bundesbeamtengesetz (BBG))
Siehe Checkliste Remonstrationspflicht und Checkliste Ablauf Remonstration.
- Anrufung des Personalrats
Der Personalrat kann eingeschaltet werden, wenn die Anweisung als rechtswidrig erachtet wird oder Beamt*innen sich durch die Anordnung benachteiligt fühlen. Der Personalrat kann vermitteln oder den Fall überprüfen.
- Beispiel: Ein Polizeibeamter wird angewiesen, bei einer Demonstration unverhältnismäßige Maßnahmen wie den Einsatz von Schlagstöcken gegen friedliche Demonstrierende durchzuführen. Er informiert den Personalrat, der die Rechtmäßigkeit der Anweisung hinterfragt und eine Vermittlung anregt.
Dienstwegprinzip und der Personalrat: Der Kontakt mit dem Personalrat ist vom Dienstwegprinzip ausgenommen. Beamt*innen dürfen sich direkt und ohne Zustimmung der Vorgesetzten an den Personalrat wenden. Der Personalrat ist als unabhängiges Organ der Personalvertretung konzipiert und unterliegt der Verschwiegenheit. Dies schützt Beamt*innen vor möglichen Repressalien und ermöglicht eine direkte Klärung von Konflikten oder rechtlichen Bedenken.
- Dienstaufsichtsbeschwerde
Mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde (keine rechtlich bindende Wirkung) können Beamt*innen die übergeordnete Stelle auffordern, das Verhalten der*des Vorgesetzten oder die Anordnung zu überprüfen. Die Beschwerde ist formlos und hat keine Frist.
- Beispiel: Ein Beamter im Bauamt wird angewiesen, bei einer öffentlichen Ausschreibung bestimmte Unternehmen zu bevorzugen, was gegen das Vergaberecht verstößt. Er reicht eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei der übergeordneten Behörde ein, um die Anweisung prüfen zu lassen.
- Fachaufsichtsbeschwerde
Mit der Fachaufsichtsbeschwerde beanstanden Beamt*innen die fachliche Richtigkeit der Anweisung und fordern eine Prüfung durch die übergeordnete Fachbehörde.
- Beispiel: Eine Beamtin in einer Naturschutzbehörde wird angewiesen, eine Baugenehmigung zu erteilen, obwohl das Bauvorhaben ein Naturschutzgebiet beeinträchtigen würde. Sie erhebt eine Fachaufsichtsbeschwerde, da sie die Anweisung für fachlich unvertretbar hält.
- Interne und externe Meldestellen nach dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG)
Siehe Checkliste Hinweisgeberschutzgesetz.
- Widerspruch (§ 68 VwGO)
Wenn eine Anweisung das Dienstverhältnis der Beamt*innen selbst betrifft, können sie vor einer Klage in vielen Fällen Widerspruch einlegen.
- Beispiel: Ein Beamter wird versetzt, ohne dass die Versetzung den gesetzlichen Anforderungen entspricht (z. B. keine sachliche Begründung). Der Beamte legt Widerspruch ein, weil er sich in seinen beamtenrechtlichen Rechten verletzt sieht.
- Rechtswirkung: Der Widerspruch kann die Anordnung aufschieben (sogenannte “aufschiebende Wirkung”), es sei denn, die Anweisung wird ausdrücklich für sofort vollziehbar erklärt.
- Klage vor dem Verwaltungsgericht (§ 40 VwGO)
- Wenn der Widerspruch erfolglos bleibt oder keine Widerspruchsmöglichkeit besteht, können Beamt*innen Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Die Klage richtet sich gegen die Anordnung, die als rechtswidrig angesehen wird.
- Einstweiliger Rechtsschutz: Wenn die Anweisung sofort vollzogen werden soll, können Beamt*innen zusätzlich einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht stellen, um die Ausführung vorübergehend auszusetzen.
- Strafanzeige oder Meldung an Strafverfolgungsbehörden
Falls die Anordnung strafbar ist oder auf ein strafbares Verhalten abzielt, müssen Beamt*innen die Ausführung verweigern (siehe Remonstration) und können unter bestimmten Umständen eine Strafanzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft stellen, wenn sie damit nicht ihre Amtsverschwiegenheit rechtswidrig brechen. Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit tritt in folgenden Fällen zurück:
- Straftaten gemäß § 138 StGB: Beamt*innen sind verpflichtet, geplante Straftaten wie Hochverrat, Mord oder Raub anzuzeigen. Ein Unterlassen dieser Anzeige stellt selbst eine Straftat dar.
- Korruptionsstraftaten (§§ 331–337 StGB): Verwaltungsmitarbeitende müssen Bestechung oder Bestechlichkeit im Amt melden, da diese Straftaten das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung erheblich beeinträchtigen.
Führungskräfte:
- Garantenstellung: Eine besondere Rolle haben Vorgesetzte, die aufgrund ihrer Position eine Aufsichtspflicht gegenüber ihren Mitarbeiter*innen haben. Sie sind verpflichtet, rechtswidriges Verhalten zu verhindern oder anzuzeigen, da sie ansonsten selbst strafrechtlich belangt werden können.
- Beispiel zur Garantenstellung: Ein Polizeidirektor erfährt, dass in seiner Behörde systematisch rechtswidrige Übergriffe auf festgenommene Personen stattfinden. Aufgrund seiner Garantenstellung ist er verpflichtet, solche Vorgänge zu verhindern oder zur Anzeige zu bringen. Ein Unterlassen könnte er sich wegen Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) und Körperverletzung durch Unterlassen (§§ 223, 13 StGB) strafbar machen.
Sollte eine Straftat nicht unter die Ausnahmen fallen, bleibt immer noch die Möglichkeit, sie an eine Meldestelle nach dem Hinweisgeberschutzgesetz zu melden (siehe 5. Meldestellen)
- Dienstwegprinzip und Ausnahmen
Das Dienstwegprinzip verpflichtet Beamt*innen, dienstliche Angelegenheiten grundsätzlich über die zuständigen Vorgesetzten und Hierarchien zu regeln. Es dient dazu, klare Verantwortlichkeiten und geordnete Abläufe in der Verwaltung sicherzustellen.
- Ausnahmen vom Dienstwegprinzip:
- Straftaten gemäß § 138 StGB: Wenn Beamt*innen von geplanten Straftaten wie Hochverrat, Mord oder Raub erfahren, sind sie verpflichtet, dies direkt den Strafverfolgungsbehörden zu melden, unabhängig von den innerbehördlichen Hierarchien.
- Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG): Verstöße gegen geltendes Recht können anonym oder nicht anonym über interne oder externe Meldestellen angezeigt werden, ohne den Dienstweg einzuhalten.
- Verfassungswidrige Anweisungen: Bei Anweisungen, die offensichtlich gegen die Verfassung oder die Grundrechte verstoßen, sind Beamt*innen berechtigt, sich direkt an zuständige Stellen oder sogar Gerichte zu wenden.
ℹ️ Praktische Hinweise:
- Remonstration als erster Schritt: Beamt*innen sollten ihre Verantwortung nach § 63 BBG ernst nehmen, um sich selbst vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen.
- Interne Beschwerdewege nutzen: Personalrat, Dienst- oder Fachaufsichtsbeschwerden können helfen, Konflikte ohne gerichtliche Auseinandersetzung zu lösen.
- Widerspruch und Klageprüfung: Bei schwerwiegenden Rechtsverletzungen sind Widerspruch und ggf. Klage zielführend.
- Interne Meldestellen verwenden: Hinweisgeberschutz bietet eine neue Alternative zur Offenlegung von Vergehen.
- Strafbare Anordnungen: In bestimmten Fällen ist die Meldung an Strafverfolgungsbehörden erforderlich.
- Um sich selbst zu schützen: Denken Sie bei allen Schritten an das Dienstwegprinzip und die Amtsverschwiegenheit. Prüfen Sie sorgfältig, ob eine Ausnahme in Ihrem Fall vorliegt.
Checkliste Hinweisgeberschutzgesetz
Das Projekt Mach Meldung! hat eine ausführliche Handreichung für den Ablauf für Hinweisgeber*innen bei der Polizei erstellt. Diese findet ihr hier.
Checkliste Gegenrechtsschutz
Der Gegenrechtsschutz ist ein gemeinsames Projekt von FragDenStaat, der Gesellschaft für Freiheitsrechte und dem Verfassungsblog.
Der Gegenrechtsschutz unterstützt Betroffene von rechtsmissbräuchlichen Maßnahmen öffentlicher oder privater Stellen. Damit unterstützt er Bürger*innen, aber gerade auch Beamt*innen und Verwaltungsangestellte. Beispiele für solche missbräuchlichen Maßnahmen sind vielfältig:
- Eine Beförderung im Amt scheint parteipolitisch motiviert.
- Ein Landrat äußert sich diskriminierend.
- Eine Beamtin erhält die Weisung, die Förderung eines Kulturzentrums ohne Rechtsgrundlage einzustellen.
- Dem geflüchteten Kind wird ein Kindergartenplatz verwehrt.
- Die Behörde verbietet die antifaschistische Demo.
Der Gegenrechtsschutz setzt sich zur Wehr gegen autoritäre Bestrebungen, die den Rechtsstaat missbrauchen sowie das Bedrängen der Zivilgesellschaft durch Abmahnungen. Dabei baut er ein Netzwerk zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Betroffenen und Anwält*innen auf.
In jedem Einzelfall kommt es darauf an, dass Betroffene den Rechtsstaat in Anspruch nehmen und sich gegen solche Maßnahmen zur Wehr setzen. Das Prozedere:
- Betroffene können sich per E‑Mail melden.
- Der Gegenrechtsschutz prüft, ob er den Fall nach seinen Förderrichtlinien unterstützen kann: https://gegenrechtsschutz.de/foerderrichtlinien#2‑foerdervoraussetzungen
- In geeigneten Fällen vermittelt der Gegenrechtsschutz spezialisierte Anwält*innen und finanziert die anwaltlichen Kosten und das Gerichtsverfahren.
Checkliste FragDenStaat berät
Ob rechtswidrige Weisungen, das Vernichten wichtiger Akten oder korruptives Verhalten – problematische Handlungen auf Leitungsebene staatlicher Behörden oder anderer Organisationen müssen weder akzeptiert noch durch eigene Handlungen unterstützt werden.
Egal ob die Weisung gesichert verfassungswidrig ist oder erst einmal nur ein schlechtes Bauchgefühl besteht: FDS bietet im Interesse des Gemeinwohls eine Beratung für Einzelpersonen und Organisationen an, um sich der Leitungsebene entgegenstellen zu können.
Die Beratung erfolgt allgemein und strategisch, um für hypothetische Krisen gewappnet zu sein oder im akuten Ernstfall. Dabei unterstützt FDS einzelne Beamt*innen genauso wie Angestellte in anderen Organisationen, in denen autoritäre Kräfte ihre Macht verfassungswidrig einsetzen. Auch anonym und streng vertraulich.
Mit juristischer und politischer Expertise und einem breitem Netzwerk von Kooperationsanwält*innen hilft FDS dabei, umsetzbare und sichere Wege zu finden, um sich demokratiegefährdenden Missständen entgegen zu stellen, zum Beispiel durch:
- IFG-Anfragen von externen Akteur*innen
- Interne und externe Meldestellen
- Whistleblowing und Herausgabe von Dokumenten
- Remonstration und Verhalten gegenüber antidemokratischen Akteur*innen
- Dienst nach Vorschrift und Bummelstreik
Kontakt (sicher und anonym):
- Per Mail
Arne Semsrott: arne.semsrott@okfn.de (PGP-Verschlüsselung)
Hannah Vos: hannah.vos@okfn.de (PGP-Verschlüsselung) - Per Signal (verschlüsselt)
Über die Plattform https://fragdenstaat.de/kontakt/share/ kannst du sicher und anonym Informationen teilen und ohne Angaben von Kontaktdaten mit FragDenStaat in Kontakt treten.

Rechtliche Grundlagen
Rechte und Pflichten können je nach Status – Beamt*innen, politische Beamt*innen oder Tarifbeschäftigte – unterschiedlich ausgestaltet sein. Unterschiede werden im Erste-Hilfe-Kit jeweils kenntlich gemacht. Die Grundprinzipien der Verfassungstreue und der Schutz der demokratischen Ordnung gelten für alle. Im Folgenden erhaltet ihr einen Überblick über wichtige rechtliche Instrumente für die wehrhafte Demokratie.
1. Hinweisgeberschutzgesetz
Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) schützt Beschäftigte, die auf rechtswidriges Verhalten in ihrer Behörde hinweisen. Geschützt sind neben den Verwaltungsangestellten auch ausdrücklich Beamt*innen (s.§ 3 Abs. 8 Nr. 3 HinSchG). Es sieht verpflichtend die Einrichtung interner und externer Meldestellen vor. An diese kann rechtswidriges Verhalten im Sinne des Gesetzes (§ 2 HinSchG), insbesondere Straftaten, gemeldet werden. Das Gesetz regelt:
- Schutz vor Repressalien: Hinweisgeber*innen dürfen nicht benachteiligt werden, bspw. versetzt oder gekündigt, weil sie eine Meldung abgegeben haben (§ 36 HinSchG).
- Vertraulichkeit: Meldestellen sind verpflichtet, die Identität der Hinweisgeber*innen zu schützen (§ 8 HinSchG).
- Beweiserleichterung: Wird eine Benachteiligung aufgrund einer Meldung vermutet, muss die Behörde nachweisen, dass diese nicht im Zusammenhang mit der Meldung steht (§ 36 Abs. 2 HinSchG).
- Wahlmöglichkeit: Die meldende Person darf selbst entscheiden, ob sie sich an die interne oder externe Meldestelle wendet.
- Dienstwegprinzip und Amtsverschwiegenheit: Ausdrücklich sind Meldungen nach dem Hinweisgeberschutzgesetz von diesen Dienstpflichten ausgenommen.
Der Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes ist beschränkt, daher ist zu prüfen, ob die konkrete Information, die weitergegeben soll, vom Schutz umfasst ist. Verschlusssachen und Geheimdienstunterlagen sind z.B. nicht vom Schutz umfasst. Viele Medien stellen anonyme Briefkästen zur Verfügung (z.B. https://fragdenstaat.de/kontakt/share/ ODER https://correctiv-upload.org/).
2. Remonstrationspflicht
Beamt*innen sind nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, einer rechtswidrigen Weisung zu widersprechen (§ 36 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), § 63 Bundesbeamtengesetz (BBG)).
- Pflicht zur Remonstration: Wenn eine Weisung gegen Gesetze verstößt, muss der*die Beamtin diese gegenüber dem*der Vorgesetzten – und bei Aufrechterhaltung der Weisung gegenüber dem höherstehenden Vorgesetzten – beanstanden.
- Verantwortungsübertragung: Bestätigt die vorgesetzte Person die Weisung, muss sie die volle Verantwortung übernehmen – der*die Beamt*in ist dann von der Haftung befreit (§ 36 Abs. 2 BeamtStG). Die Bestätigung kann schriftlich verlangt werden!
- Verantwortlichkeit bei Unterlassen: Führt der*die Beamt*in eine offenkundig rechtswidrige Weisung ohne Widerspruch aus, kann sie*er persönlich haftbar gemacht werden (§ 36 Abs. 1 BeamtStG, § 63 Abs. 1 BBG).
- Weisungen mit strafbaren Inhalten: Bei Anweisungen, die erkennbar strafrechtlich oder ordnungsrechtlich relevant sind oder gegen die Menschenwürde verstoßen, darf die Weisung auch nach Bestätigung nicht befolgt werden (§ 63 Abs. 2 BBG, 36 Abs. 2 BeamtStG). Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt auch dann vor, wenn durch die angewiesene Amtshandlung Personen aufgrund von Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiösen oder politischen Anschauungen oder Behinderung benachteiligt werden.
Im Gegensatz zu Beamt*innen unterliegen Angestellte im öffentlichen Dienst nicht der Remonstrationspflicht. Dennoch haben auch sie arbeitsrechtliche Schutzmechanismen und Pflichten, die sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) sowie aus spezialgesetzlichen Regelungen ergeben.
- Pflicht zur loyalen Dienstausübung: Angestellte sind verpflichtet, ihre Arbeitsleistung vertragsgemäß und nach den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit zu erbringen. Eine Weisung, die gegen geltendes Recht verstößt, muss grundsätzlich nicht befolgt werden (§ 106 Gewerbeordnung (GewO)).
- Zumutbarkeit und Weisungsrecht: Eine Anweisung muss rechtmäßig und zumutbar sein. Ist sie rechtswidrig oder unzumutbar, können Angestellte sie ablehnen. Eine Pflicht dazu besteht aber nicht. Bei einer Ablehnung tragen die Angestellten selbst das Risiko, zum Beispiel für arbeitsrechtliche Konsequenzen, sollte ein Gericht die Maßnahme doch für rechtmäßig und zumutbar halten. Um dieses Risiko zu vermeiden, kann eine Angestellte die Weisung auch unter Vorbehalt befolgen und parallel gerichtlich die Feststellung der Rechtswidrigkeit/Unbilligkeit verfolgen.
- Weitere Reaktionsmöglichkeiten sind:
- prüfen, ob eine Pflicht zur Ablehnung einer rechtswidrigen Anweisung aus anderen Gründen, z.B. aufgrund von Strafgesetzen, besteht.
- über interne Beschwerdemechanismen (z. B. Personalrat, Vorgesetzte, Antidiskriminierungsbeauftragte) auf problematische Weisungen hinweisen,
- bei schwerwiegenden Fällen Meldung an externe Stellen nach dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) machen.
3. Grundrechte und dienstliche Pflichten
Beamt*innen sind auch im Dienst Grundrechtsträger*innen, müssen dabei aber die besonderen Pflichten ihres Amtes beachten.
Bei Amtsausführung (bspw. bei Erlass eines Verwaltungsakts) kann sich nicht auf Grundrechte berufen werden – denn beim Handeln in amtlicher Funktion sind Beamt*innen nicht Träger*innen subjektiver Rechte, sondern Ausübende staatlicher Gewalt im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG. Hierbei sind sie durch die Grundrechte anderer (z.B. der Adressaten des Verwaltungsakts) gebunden.
Inwieweit Grundrechte von Beamt*innen in einer Situation eingeschränkt sind, hängt damit von den konkreten Umständen ab:
- Privater Bereich: Grundrechte (z. B. Meinungsfreiheit, Art. 5 GG) gelten grundsätzlich uneingeschränkt. Einschränkungen bestehen nur durch das Mäßigungsgebot und die Pflicht zur Verfassungstreue für Beamt*innen, die auch im Privatbereich nicht missachtet werden dürfen.
→ Pflicht zur Verfassungstreue: Beamt*innen müssen sich auch privat so verhalten, dass kein Zweifel an ihrer Loyalität zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung entsteht (§ 33 Abs. 1 BeamtStG, § 60 Abs. 1 S. 3 BBG).
- Dienstlicher Bereich: Hier gelten alle Dienstpflichten. Vor allem parteipolitische Aktivitäten dürfen aufgrund des Neutralitätsgebots nicht während der Dienstzeit oder unter Nutzung dienstlicher Ressourcen erfolgen. Allerdings ist im Innenverhältnis zum Dienstherrn eine Berufung auf Grundrechte möglich; hier erfolgt unter Umständen eine Abwägung zwischen Grundrechten und beamtenrechtlicher Pflicht.
Für Angestellte im öffentlichen Dienst gelten weniger strikte Vorgaben, aber auch sie dürfen sich dienstlich nicht parteipolitisch betätigen und müssen im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses rechtsstaatliche Prinzipien achten (z. B. Pflicht zur parteipolitischen Neutralität im Dienst, Beachtung arbeitsrechtlicher Loyalitätspflichten, keine Nutzung dienstlicher Ressourcen für Parteizwecke).

Kontakte und Ressourcen
Anlaufstellen
- Meldestellen für Hinweisgebende
- Personalräte und Vertrauenspersonen
- Gewerkschaften und Interessenvertretungen (mit Vorbehalt bzgl. politischer Tendenzen)
- Menschenrechtsorganisationen
- Verwaltung für Demokratie e.V. (www.verwaltung-fuer-demokratie.de )
- Gegenrechtsschutz (https://gegenrechtsschutz.de/)
- FragDenStaat berät (https://fragdenstaat.de/kontakt/beratung/)
- Anwaltskanzleien
- weitere zivilgesellschaftliche Organisationen
Weiterführende Ressourcen
- Verfassungsblog (https://verfassungsblog.de/)
- Gesetzestexte und Rechtsgutachten (z. B. https://freiheitsrechte.org/ )
- Praxisbeispiele und Formulierungshilfen für Remonstrationen (z.B. https://jetzt-remonstrieren.de/)
- Szenarien und Reaktionsmöglichkeiten je nach Verwaltungsebene
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